Schon die Pharisäer verwendeten die Bibel nicht nur im wörtlichen Sinn. Spätestens seit dem 2. Jahrhundert vC wurde - in Anlehnung an die Auslegung griechischer Mythen durch griechische Philosophen - in Alexandria dasselbe auch mit der Bibel gemacht. Freilich gingen die jüdischen Ausleger nie soweit die geschichtlichen Fakten zu leugnen, wie das für die Mythen der Griechen durch griechische Philosophen der Fall war (Plotin in seinen Enneaden: Der Mythos war nie. Er ist aber immer.) Aber jüdische Autoren in dieser Schule ließen die historischen Fakten fast bis zur Bedeutungslosigkeit herabsinken, um die "Wahrheit" am Grunde der Geschichte zu erhellen. Manch ein Kirchenvater von niederer Bedeutung und wenig Sympathie für die Juden konnte sich da nur anschließen. Nicht so aber die bedeutenden Kirchenväter. Ob man Meliton von Sardes heranzieht, Origenes, Augustinus oder andere der Großen, sie alle hielten fest an der Bedeutsamkeit auch der Geschichte, nicht nur des Gemeinten. Für sie waren die Schriften des Alten Testamentes aber erst richtig verstanden, wenn man begriffen hat, was sie über Christus aussagten. Wie kann man sich das vorstellen? Was haben sie gemacht? Origenes im 3. Jahrhundert legte die Schrift überwiegend noch im dreifachen Schriftsinn aus, der von der Einteilung des Menschen in Leib (Litteralsinn), Seele (typologischer Sinn) und Geist (wahrer christlicher) Sinn ausging. Doch richtig bedeutsam wurde (Johannes) Cassians (360-435) Einteilung in die vier Schriftsinne. (Vergleiche Collationes 14,8). In der Klammern steht jeweils die Bedeutung für "Jerusalem" im jeweiligen Schriftsinn, das Cassian als Beispiel verwendete.
Littera gesta docet, quid credas allegoria,
Moralis quid agas, quo tendas anagogia.
Also verteutscht: Der Buchstabe lehrt die Fakten jüdischer Geschichte (jüdische Stadt), die Allegorie
enthüllt dem Glauben die christliche oder theologische Bedeutung (die Kirche). Der moralische oder
bildliche Sinn lehrt das zu Tuende in der individuellen christlichen Praxis (menschliche Seele), der
anagogische enthüllt das eschatologische Ziel (himmlisches Jerusalem), das, wonach ich mich jetzt
austrecke. Das funktioniert aber nur einigermaßen konsistent für das Alte Testament (da das NT selbst
schon eine Deutung des AT ist).
Jesus nutzt in Joh 10,34 zB die Allegorese in einem Streit mit den Juden (Pharisäern). Doch erläutern möchte ich diese Art der Schriftauslegung anhand eines Beispiels aus dem 4. Kapitel des Galaterbrief. Dort zitiert Paulus sinngemäß eine Stelle (Litteralsinn) aus der Genesis (17-21 hier vor allem auf 21,10 bezogen) und deutet die beiden Frauen und ihre Kinder als den Alten Bund, das Leben nach dem Gesetz (die Sklavin und ihr Sohn), und den neuen Bund, das Leben aus der Gnade bzw Verheißung Gottes (Sarah und ihr Sohn). Das ist der allegorische Sinn, der (für Abraham) in der Zukunft liegende Sinn, der auf den Bund Jesu hinweist. Also für uns gesehen lehrt der allegorische Sinn, die christliche Glaubenswahrheit. So konnte Abraham aber noch nicht erkennen, warum er Hagar und Ismael wegschicken sollte, weil sich dieses Geheimnis erst mit Jesus offenbaren würde: Wir sollen als Kinder der Freien, des himmlischen Jerusalems (4,26), der Kirche leben, und nicht als Kinder der Sklavin, des irdischen Jerusalems (4,25), des Gesetzes. Im 5. Kapitel des Galaterbriefes findet man dann den moralischen Schriftsinn, also was geschieht an mir und durch mich, wenn ich aus dem Prinzip der Freiheit lebe, die Gott geschenkt hat, oder was geschieht, wenn ich aus dem alten Prinzip lebe, noch nach dem alten, irdischen Gesetz, dem Fleisch. Der anagogische Sinn, ist oftmals auch die 2. Seite des allegorischen Sinnes. Beispiel das himmlische Jerusalem ist für uns Christen unsere Mutter. Aber ich bringe nicht automatisch die Frucht dieser Heimat, die ich durch den Glauben habe. Ich muß mich danach auch immer noch ausstrecken, weil das himmlische Jerusalem eben noch nicht für alle ersichtlich ist in dieser Zwischenzeit. So bleibt es das eschatologische Ziel (auch im Sinne der Zukunft), obwohl jeder Christ im Glauben schon darin lebt. Dieses sehe ich ebenfalls im 5. und 6. Kapitel des Briefes öfter aufscheinen. Vor allem aber in Gal 5 13 Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe! sowie auch die Verse 14-16. (Cassian und auch die Tradition würden mir wahrscheinlich hier widersprechen und sagen: als Kinder der Freien leben wir jetzt in der Kirche (allegorischer Sinn). Wir erhoffen aber erst die Vollendung im himmlischen Jerusalem. Ich trenne Kirche und himmlisches Jerusalem ungern, weil dahinter mE ein zu Institutionelles Verständnis von Kirche steht. Für mich ist Kirche, wie für Paulus, der mystische Leib des Christus, der am Ende nur ganz offenbar wird.)
Wie kann man heute damit beten? Schon Cassians Methode beruhte auf dem ebenfalls paulinischen Dreischritt
(1Kor13,13), also was führt mich in der Geschichte zu mehr Glaube, Hoffnung und Liebe in Christus. Ich glaube,
das ist auch heute ein guter Ansatz. Erst wenn du das verstanden hast, hast du diese Stelle verstanden.
Litteralsinn läßt die Geschichte der Bibel verstehen, was der Text also heute über die genauen
Umstände von damals sagt: Wer Was Wie Wann Wo Warum Wem (=für wen)
Analogie erzählt über die Wahrheit des Glaubens: worauf darf ich darum aufgrund dieser
biblischer Geschichte mein Leben bauen.
Moral erzählt über die Liebe: an welchen Früchten in meinem Leben erkenne ich, dass meine Liebe zu
Gott und seiner Kirche (der Leib Jesu) gewachsen ist bzw das Gegenteil der Fall ist.
Anagogie erzählt über die Hoffnung: Was führt dich auf dem Weg zu Gott, weiter hinauf in
dieser biblischen Geschichte. Welche Verheißung Gottes steht da für dich drinnen?
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Etwas mehr dazu vielleicht in meiner ältere Seminararbeit
von mir zur spirituellen Theologie des 1. Jahrtausends.
nicht repräsentative
Gebetshilfen
für den Umgang mit der Bibel (Bistum Salzburg) oder auch hier
praktische
für's tägliche Gebet - hier bewußt keine charismatischen Hilfen.